„5 Fragen an“ Reise-Autor Bernd Biedermann
– Hier haben Fotoliebhaber, Wanderenthusiasten und Profis das Wort. Überall in Europa suchen sie nach neuen Abenteuern, herausfordernden Etappen, dem ganz besonderen Outdoor-Moment. Dabei lernen sie neue Freunde und Kulturen kennen, werden Teil spannender Ereignisse und befeuern unser Fernweh mit atemberaubenden Fotos.
Für unseren Blog wollen wir es genau wissen. In einer Interviewreihe stellen wir „5 Fragen an“ Blogger, Reisejournalisten, Hobby- und Profifotografen.
Ostwärts auf dem Europaradweg R1 nach St. Petersburg
Als ehemaliger DDR-Bürger hat Bernd Biedermann vermutlich besonders viel Fernweh und in Sachen Reisen einiges an Nachholbedarf. Vielleicht wächst deshalb in den Jahren nach der Grenzöffnung 1989 – trotz vieler Reisen – weiter beharrlich der Wunsch in ihm, Europa gemeinsam mit seiner Frau mit dem Fahrrad zu durchqueren. Und zwar ganz nach seiner „Velosophie“, persönlich und unmittelbar! Schließlich ist einer seiner Wahlsprüche „Weltanschauung kommt auch von Welt anschauen“.
Seine Erfahrungen hat der Magdeburger 2015 in seinem Buch „Ostwärts – Auf dem Europaradweg R1 nach St. Petersburg“ festgehalten. Wir haben den weltoffenen und humorvollen Reise-Autor mit seiner Frau Uschi bei einer Tagung zum Europaradweg R1 getroffen und es uns nicht nehmen lassen, die beiden über ihre Reise auf dem R1 auszufragen. Hier sind unsere 5 Fragen an Bernd und Uschi Biedermann:
Bernd, bei eurer Fahrradreise auf dem R1 wolltest du „Grenzen testen“: Ehemalige, wie die um Berlin, und neue Grenzen, wie die zwischen der russischen Exklave Kaliningrad und Litauen, aber auch kulturelle und persönliche. Warum war/ist es dir wichtig beim Reisen „Grenzen zu testen“?
Bernd: In der Tat war die fehlende Reisefreiheit in der DDR für mich der Hauptgrund im Herbst `89 auf die Straße zu gehen. Schon in der Schule wurde versucht, uns die sozialistische Weltanschauung anzuerziehen, dabei kommt Weltanschauung doch auch von Welt anschauen. Grenzen zu testen ist wichtig und interessant. Die sportliche Leistungsgrenze spielte bei der Tour aber keine Rolle, da wir diese Grenze zuvor bei Marathonläufen testeten. Unser Fazit nach der R1-Tour: In einem Europa ganz ohne Grenzkontrollen und ganz ohne Währungsgrenzen würde es sich noch entspannter radeln lassen. Aber noch wichtiger als ein Europa ohne Grenzen ist ein Europa ohne Krieg. Denkmäler und Soldatenfriedhöfe entlang des R1 von Frankreich bis Russland erinnern an die sinnlosen Kriege, die einst in Europa tobten.
Den R1 seid ihr gemeinsam geradelt, als eingespieltes Team. Könntet ihr euch auch vorstellen, unabhängig voneinander oder gar ganz alleine so eine Strecke zu bewältigen?
Uschi & Bernd: So eine Strecke können wir uns nur gemeinsam vorstellen. Noch weniger vorstellbar ist uns aber eine Tour in einer größeren Gruppe.
Bei den Vorbereitungen sahst du dich schon bei „einer Käseverkostung mit Frau Antje, bei Königsberger Klopsen in Kaliningrad und beim gut gekühlten Wodka im randvollen Sto-Gramm-Glas* in St. Petersburg“. Wie weit konntet ihr eure Pläne unterwegs verwirklichen und an welches Ereignis denkt ihr besonders gerne zurück?
Bernd: Pläne nur teilweise verwirklicht ;-). Frau Antje trafen wir immerhin auf der „Grünen Woche“ in Berlin. Ich musste zur Kenntnis nehmen, dass die Niederländer Frau Antje nur für den deutschen Verbraucher erfunden haben, um den Käseexport anzukurbeln. In Kaliningrad suchten wir vergeblich nach einem Restaurant mit Königsberger Klopsen auf der Speisekarte und zum Abschluss der Tour trank ich in St. Petersburg natürlich einen Wodka, allerdings nur als Doppelten, da in den Restaurants wegen neuer Anti-Alkohol-Gesetze kein Sto-Gramm ausgeschenkt wird. Es gibt sehr viele Ereignisse, an die wir gerne zurückdenken. Für je ein Ereignis haben wir uns nun entschieden:
Uschi: Ich denke gern an das glückliche Ende eines Problems zurück. Nach Passieren des Grenzübergangs Narva-Iwangorod benötigten wir dringend Rubel, da bis Peterhof kaum Geldautomaten zu erwarten waren. Versuchte ich es mit meiner EC-Karte, was zuvor (auch später) immer funktionierte. Doch diesmal: drei Fehlversuche – Karte weg! Ich war völlig durch den Wind! Zwei Bankangestellte kümmerten sich um mein Problem. Nach gefühlt zwei Stunden bekam ich 2.300 Rubel ausgezahlt. Nun hieß es: Der Rubel rollt!
Bernd: Die Rückfahrt mit Fähre von St. Petersburg nach Lübeck, die drei Tage und zwei Nächte dauerte. Anders als bei einem zweieinhalbstündigen Flug nach Berlin werden einem so die zurückgelegten Radkilometer bewusst, gepaart mit dem Hochgefühl, den gesamten R1 geschafft zu haben. Zudem ging es auf der Fähre sehr europäisch zu: Da war der Steward Boris aus St. Petersburg, der deutsche Fernfahrer Siggi, sein armenischer Kollege Alexei, die internationale Schiffsbesatzung mit einem in Magdeburg geborenen Kapitän an der Spitze. Abends trafen wir uns an der Bar und tranken Wodka aus Finnland und Bier aus Tschechien.
Wenn jeder von euch eine Etappe vom Europaradweg R1 zu seiner Favoritin küren sollte, welche wären das? Und seid ihr euch bei der Wahl einig?
Uschi & Bernd: Nicht einig!
Uschi: Die Etappe von Gurlewo nach Peterhof (115 km). Nirgends waren die Kontraste auf den R1-Etappen größer. In den kleinen Dörfern wurden Obst und Gemüse am Straßenrand angeboten. Wir kauften Gurken von einer Großmutter mit Enkel, die nur drei Gurken und zwei Tomaten auf einem Hocker zu liegen hatte. Unmittelbar vor Peterhof eine völlig vermüllte Buswartehalle, nur ein paar Kilometer weiter die ehemalige Zarenresidenz mit viel Gold, Wasserspielen und prunkvollen Bauten.
Bernd: Die letzte Etappe des Abschnittes Den Haag – Berlin, die wir in Brück begannen (84 km). Erstmals hatten wir im Jahresurlaub über 1.000 Kilometer mit dem Rad zurückgelegt und nun die deutsche Hauptstadt Berlin erreicht. Höhepunkt war für mich die Fahrt durch das Brandenburger Tor, dem Symbol der deutschen Teilung schlechthin. Beim Berlin-Marathon in den 1990er Jahre bekam ich Gänsehaut und hatte eine Träne im Knopfloch beim Passieren des Tores. Viele Jahre später auf dem R1 war es noch immer so.
Du schreibst, dass du nicht gerade ein Technik-Freak bist, Bernd. Wie sieht es denn mit eurer Kamera-Ausrüstung aus: Welches ist das Mittel der Wahl, um den perfekten Moment bildlich festzuhalten?
Bernd: Kein Technik-Freak stimmt zu 100% und das nicht nur auf GPS bezogen. Die Fotos bei der Tour schoss ich mit der Digital-Kamera „Lumix“ von Panasonic (10 Megapixels). Nach der Tour ärgerte ich mich, dass ich nicht mehr und nicht besser fotografiert habe – ein Fehler, denn auch Fotos helfen, sich später an Situationen zu erinnern. Mein Hauptaugenmerk lag eben auf dem Schreiben. Manchmal formulierte ich schon auf dem Rad im Kopf Textpassagen.
Das Buch „Ostwärts – Auf dem Europaradweg R1 nach St. Petersburg“ von Bernd Biedermann ist im traveldiary.de Reiseliteratur-Verlag erschienen und kostet 14,80 €.
*Anmerkung der Redaktion: Cto [sto/stɔ] heißt im Russischen Hundert. 100 Gramm fasst die sogenannte „Stopka“, das traditionelle Wodkaglas.