Auf dem E1 von Detmold nach Altenbeken – Teil 3
Im Bann des Europäischen Fernwanderwergs E1.
Im dritten und letzten Teil seines Gastbeitrags erzählt Journalist Thomas Limberg vom zweiten Tag seiner Wanderung, an dem ihn das Eggegebirge ganz schön ins Schwitzen gebracht hat.
Der europäische Fernwanderweg hat mich in seinen Bann gezogen. Gestern bin ich auf diesem vom Hermannsdenkmal bis zu den Externsteinen gewandert. Jetzt nutze ich die Chance und schließe daran ein weiteres Teilstück jenes Weges an, der über 7000 Kilometer vom Nordkap bis nach Sizilien führt.
Hatte ich die Nacht noch in unmittelbarer Nähe der Externsteine in einem Hotel in Horn-Bad Meinberg verbracht, startete ich diesen Wandertag rund vier Kilometer entfernt in dem kleinen Örtchen Leopoldstal. Grund für diese Entscheidung ist der unmittelbare Bahnanschluss an den Wanderweg. Ich kann mein Auto zunächst am geplanten Zielort der Wanderung, in Altenbeken abstellen und dann von dort mit dem Zug nach Leopoldstal fahren.
Rund 15 Minuten braucht die Bahn für diese Strecke. Ich werde etwas über vier Stunden benötigen. Der Weg ist erneut hervorragend ausgeschildert. Direkt auf dem Bahnsteig sehe ich die ersten Wegweiser, die mir zeigen, wo es für mich langgeht. Die angegebene Richtung gefällt mir, zeigen die Schilder doch direkt in den Wald. Ich biege ein und sofort geht es ordentlich bergan. War ich gestern noch im Teutoburger Wald unterwegs, ist es jetzt dessen südliche Ausläufer – das Eggegebirge, das mich ins Schwitzen bringt.
Während ich an einem Bach entlang laufe, bin ich ganz alleine. Nur ein paar Buchfinken flattern aufgeregt hin und her. Ich gewinne schnell an Höhe und kann bald recht weit ins Tal schauen. Immer wieder stoße ich auf Infotafeln, die spannendes Hintergrundwissen zur umgebenden Landschaft liefern. Auf einer lese ich, dass hier sogar Wildkatzen heimisch sein sollen. Insgeheim hoffe ich eines der scheuen Tiere zu sehen und achte jetzt auf jedes Geräusch im Wald. Tatsächlich werde ich belohnt. Zwar nicht mit einer Katze, dafür sehe ich aber gerade noch eine Eidechse zwischen abgestorbenen Ästen verschwinden.
Plötzlich gelange ich an eine kleine Lichtung, auf der sich imposante Felsen zeigen. Auf dem Weg sind die knorrigen Wurzeln der Kiefern mit Moos bewachsen. Fast schon klischeehaft, dafür nicht weniger faszinierend präsentiert sich der Wald an dieser Stelle. Diese würde eine perfekte Kulisse für Märchenfilme aller Art abgeben. Ich kann mir bildlich vorstellen, wie Rotkäppchen vor den Felsen entlang spaziert oder wie Hänsel und Gretel hier auf ein Hexenhaus treffen.
Doch bevor die Fantasie mit mir durchgeht, wandere ich weiter. Fünf Minuten nur, dann habe ich die zweithöchste Stelle des Eggegebirges erreicht – den Lippischen Velmerstot. Gigantische Steine liegen hier herum. Vom Gipfel habe ich trotz Dunst in der Luft eine tolle Fernsicht. An klaren Tagen soll man sogar bis nach Kassel schauen können. Die Gegend um den Gipfel ist für mich eine der schönsten der gesamten Wanderung. Nur wenige kleine Bäume stehen hier. Dafür reichlich Heide und Blaubeeren und zwischendrin immer wieder kleine Felsbrocken. Übrigens findet sich der Sandstein des Velmerstot noch an anderen Stellen in Deutschland. Vom 19. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg wurde dieser unterhalb des Gipfels in einem Steinbruch abgebaut. Die gewonnenen Quader wurden z.B. im Kölner Dom oder im Berliner Reichstag verbaut.
Es gibt allerdings noch einen höheren Punkt im Eggegebirge – den Preußischen Velmerstot. Ich erreiche diesen 464 Meter hohen Gipfel wenige Minuten später. Auch hier präsentiert sich wieder eine Landschaft, die man sonst kaum irgendwo sieht. Nur wenige Sträucher und kleine Bäume – dazu immer wieder Heide und Blaubeeren. Besonders im Spätsommer, wenn die Beeren reif sind und die Heide blüht, muss es hier traumhaft sein. Ein weiteres Highlight ist der hölzerne Eggeturm. Aus über 10 Metern Höhe schweift hier der Blick weit hinein in den Teutoburger Wald, die Senne oder gar das Weserberg- und Sauerland.
Während sich am Velmerstot einige Wanderer aufhielten, wird es danach plötzlich wieder ganz ruhig. Die folgenden rund 10 Kilometer bis Altenbeken verlaufen direkt auf dem Bergrücken. Da es zwischendurch keine geeignete Möglichkeit gibt aus dem Tal hierher zu kommen, treffe ich in den zwei Stunden, die ich hier oben immer geradeaus wandere nur einen weiteren Wanderer.
Nur das Trillern der Vögel durchbricht die Stille. Man ist allein mit sich und seinen Gedanken. Tiefe Entspannung stellt sich unweigerlich ein. Unentwegt richte ich meine Kamera in den Wald. Die dicken Stämme der Buchen oder das dunkle Unterholz der Nadelbäume begeistert mich. In welch einer bezaubernden Heimat wird doch leben, denke ich mir immer wieder.
Fast schon etwas Wehmut kommt auf, als ich einen Wegweiser erreiche, der das nahe Ende der Tour verkündet. Nur noch 3,1 Kilometer bis Altenbeken sollen es sein. Ich verlasse den Rücken des Eggegebirges und steige über einen steilen Pfad hinab. 20 Minuten später bin ich zurück in der Zivilisation. Kein Kulturschock – noch immer ist es ruhig und beschaulich. Altenbeken gefällt mir. Ich wandere durch eine Straße mit gepflegten Vorgärten. Bunte Osterdeko ziert die Eingänge der Häuser. Dahinter erkenne ich das berühmte Viadukt. Bis zum Bahnhof ist es jetzt nicht mehr weit.